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The Art of Empathy

28.07.2023

Was machen Sie in einem Museum? Sich intellektuell mit der Kunst und den Objekten auseinandersetzen? Oder ist ein Museumsbesuch für Sie vor allem ein gemeinschaftliches Erlebnis mit Freunden und der Familie, das der Unterhaltung dient?

Wenn Letzteres der Fall ist, geben Sie es ruhig zu. Sie rennen damit buchstäblich offene Türen ein. Denn schon seit einigen Jahre definieren Museen und Kultureinrichtungen ihren Wert neu. „Wert“ meint heute mehr als nur ökonomischen Erfolg, der sich im Verkauf möglichst vieler Eintrittskarten bemisst, aus deren Erlös die originären Aufgaben eines Museums erfüllt werden können, die da lauten: Forschen, Sammeln, Bewahren und Vermitteln. Stattdessen denken Museen zunehmend über ihre gesellschaftliche Relevanz nach: Was kann Kunst bewirken in einer Zeit, die von Verfolgung, Migration, extremen Meinungen und einem generellen Auseinanderdriften der Gesellschaft geprägt ist? Und was können Museen als Institution tun, um dieser Dynamik entgegenzuwirken?

Zu Hilfe kommt ihnen bei diesen Überlegungen eine Definition des US-amerikanischen Soziologen Ray Oldenburg. In seinem 1989 erschienenen Buch „The Great Good Place“ beschreibt Oldenburg einen „dritten Ort“ – neben dem Zuhause als ersten Ort und dem Arbeitsplatz als zweiten Ort. Dieser „dritte Ort“ ist ein öffentlicher Ort, an dem Menschen zusammenkommen, um miteinander zu kommunizieren. Es ist also ein Ort der sozialen Interaktion. Oldenburg dachte dabei vor allem an Cafés, Buchläden, Bars und Friseursalons. Museen jedoch haben den „dritten Ort“ in sich entdeckt und damit gleichsam ein neues Relevanzfeld: Was wäre, wenn sie als öffentlicher Ort nicht nur dem sozialen Miteinander dienten, sondern zudem ein geschützter und sicherer Ort sein könnten, an dem Menschen unterschiedlichen Alters, unterschiedlicher Herkunft, Religion und Überzeugung zusammenkommen und ohne Angst vor Diskriminierung ihre individuelle Perspektive zum Ausdruck bringen können? Würde dies nicht helfen, eine zunehmend diversere und inklusivere Gesellschaft zu formen?

Seitdem ist der Ruf nach Multiperspektivität auf allen Ebenen der Museumsarbeit unüberhörbar. Nicht nur werden immer mehr Angebote geschaffen, die eine breite Masse von Menschen ansprechen und zum Teil erstmals ins Museum locken wollen: Von Yoga-, über Meditations- und Kochkursen bis zu Langen Nächten mit Musik, Führungen für stillende Mütter und von Flüchtlingen. Auch in den digitalen Vermittlungsangeboten gelten Kommunikation und vor allem Interaktion als Gebot der Stunde. An die Stelle von eindimensionalen und monodirektiven Kunstvermittlungsangeboten treten Plattformen, mit deren Hilfe sich möglichst alle einbringen können (z.B. Citizen Science). Kaum ein Programm für Kinder und Jugendliche, das nicht von Kindern und Jugendlichen selbst entwickelt wird. Kaum eine App, die nicht mit den sozialen Medien verlinkt ist, um Kommentare zu hinterlassen oder sich zumindest selbst ins Gespräch zu bringen. Und seit die Pandemie die vier Wände des „dritten Ortes“ Museum in die unendlichen Weiten des digitalen Raums geöffnet hat, scheinen die Möglichkeiten der sozialen Interaktion grenzenlos. Virtuelle Ausstellungsrundgänge und (Live-)Führungen auf Instagram erreichen längst mehr Menschen als der „geschützte Ort“ des physischen Museumsbaus. Sie mit „user generated content“ zu verknüpfen ist nur ein nächster, naheliegender Schritt.

Doch Halt! Mit der Möglichkeit, die eigene Perspektive zu teilen, ist noch nicht viel gewonnen. Denn zur sozialen Interaktion gehört vor allem die Fähigkeit, eine fremde Perspektive zu verstehen, mit anderen Worten, die Fähigkeit zur Empathie. Und Museen erfüllen auch diese Aufgabe, denn sie erscheinen als der ideale Ort, um Empathie zu stärken: Sie besitzen die Objekte und die dazugehörigen Geschichten, um das Verständnis für fremde Kulturen zu wecken. Doch wie sollen sie diese Geschichten erzählen?

Die US-amerikanische Journalistin und Talkshow-Moderatorin Celeste Headlee hat es in ihrem Buch „We Need to Talk: How to Have Conversations That Matter“ auf den Punkt gebracht. Darin beschreibt sie als wesentliche Voraussetzung für wahres Mitgefühl die Fähigkeit, aufmerksam zuzuhören. Erst wer sich wirklich auf sein Gegenüber einlässt und zuhört, ohne bereits in Gedanken einen Kommentar zu formulieren oder mit einem vermeintlich ähnlichen Erlebnis zu überdecken, ist in der Lage, etwas Neues zu lernen und dem Gegenüber zu folgen.

Zuhören lehren statt selber Reden lassen steht also am Anfang jedes auf Empathie ausgerichteten Vermittlungsangebots. Analoges Erzählen, das einfache Reden von Mensch zu Mensch, erscheint dabei in Anbetracht der vielen technischen und interaktiven Möglichkeiten, die digitale Medien heute bieten, fast als zu simpel. Erstaunlicherweise geht der Ruf nach Erzählungen jedoch mit einem Trend zu langen Audioformaten einher. Allen voran: Podcasts, bei denen auf dem Bildschirm nichts blinkt und leuchtet, sondern in denen nur gesprochen wird - und die ihre Zuhörer dennoch manchmal über Stunden hinweg fesseln.

Auch bei den digitalen Angeboten im Museum erkennen wir diese Tendenz, die lautet: weg vom multimedialen Overkill zurück zum gesprochenen Wort. Anders als in der klassischen Audiotour, in der kuratierte, didaktisch aufbereitete und professionell produzierte Inhalte dominierten, die oft die Distanz zwischen Objekt und Betrachter vergrößerten statt sie aufzuheben, bestimmen nun jedoch persönliche Erzählungen den Ton. Ein Ansatz, den etwa auch das von NOUS mitentwickelte Ecosystem hiStory verfolgt, das älteren Menschen erlaubt, ihre Erinnerungen aufzuzeichnen. Nicht Profi-Sprecher, sondern authentische Persönlichkeiten teilen ihre Perspektive auf eine Weise, die uns berührt - und wer Gefühle entwickelt, ist auf dem besten Weg die Kunst der Empathie erlernen. Plötzlich öffnen sich so Türen, die man nur durchschreiten muss, um den „dritten Raum“ des sozialen Miteinanders zu betreten.

Eva Wesemann

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