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Der Raum als Instrument

30.10.2023

Ließ William Gibson 2007 in Spook Country noch fiktiv Künstler virtuelle Kunstwerke über Raum-Koordinaten an beliebigen Orten verankern und konnten Gibsons Protagonisten diese Werke mit speziellen Devices an ihren jeweiligen Positionen im Raum sehen, so wurde dies mit NOUS Sonic nun auditiv umsetzbar.

Die dem Projekt seinen Namen gebenden Areale werden von Christian Fennesz mit NOUS Sonic in ihrer Form definiert, auf einer digitalen Repräsentation des Foyers des Wiener Konzerthauses positioniert und mit eigens komponierten Soundfiles belegt. Betreten die Teilnehmenden diese Areale im Foyer, hören sie über Kopfhörer je nach Standort und Verhalten Individuelles: Als technologische Basis dient eine hochpräzise Indoor-Lokalisierung der Hörenden mittels Ultra- Wideband, die Sounds werden in Echtzeit im jeweiligen Kopfhörer verrechnet und angepasst.

Nicht-Linearität

Der Raum wird damit in seiner realen 3-dimensionalen Struktur und die Hörenden in ihren Bewegungen detailliert erkannt: Auf Basis dieses technologischen Settings und mittels seiner stilprägenden Mischung aus Field- Recordings, Gitarren-Snippets, Ambient, Noise und Effekten erarbeitet Fennesz eine interaktiv-immersive Mehrkanal-Installation und leistet – wie schon 1997 mit Hotel Paral.lel – auch mit AREA einmal mehr kompositorisch-konzeptionelle Pionierarbeit: So wird etwa der Umgang mit der für die Kunstform Musik seit jeher als konstituierend angesehenen Dimension der linearen Zeitlichkeit durch die Möglichkeit der Steuerung des individuell-Auditiven durch eigene Bewegungen in Richtung eines nicht-linearen, multi-perspektivischen Raum- Hörens gewandelt.

Augmented Listening

Hatte John Cage in seinen stillen Stücken wie 4’33 den gegebenen Raumklang (z.b. durch die vom Publikum erzeugten Geräusche) als die Musik dieses Stücks abstrahiert und damit den Raum in seiner auditiven Natürlichkeit als das Kunstwerk definiert, wird durch NOUS Sonic das menschliche Gehör im Sinne des Wortes augmentiert: Das System erfasst nicht nur die Makrobewegungen des Publikums im an sich stillen Raum (das Durchschreiten der virtuellen Areale im Foyer des Konzerthauses), sondern auch dessen Mikrobewegungen in Form der individuellen Kopfdrehungen und damit Blickrichtungen. Ist die erblickte AREA entsprechend angelegt, kann derweise an sich Unhörbares (weil im Natürlichen etwa zu weit entfernt) als hörbar simuliert werden: Ähnlich den natürlichen Schallquellen, positioniert Fennesz auch in AREA die virtuellen Schallquellen im Raum und kann damit sowohl Natürliches nachahmen wie Unnatürliches evozieren: Als teils irritierendes Resultat durchwandern die Hörenden gewissermaßen ihr jeweiliges auditives uncanny valley.

Variable Räumlichkeiten

Raum wird ontologisch nicht nur über Gesehenes, sondern auch über Gehörtes konstitutiert: Mit Schall befüllt, sind Raumgröße oder Raumbeschaffenheit mit geschlossenen Augen einschätzbar. Unser Raumgefühl ist damit durch Änderungen physikalischer auditiver Gesetzmäßigkeiten beeinflussbar: So könnte oben-unten oder nah-fern entgegen den tatsächlichen Gegebenheiten auditiv geändert und damit die Raumwahrnehmung invertiert werden.

Immersion wird damit im Fall von Fennesz’ AREA weitergedacht: Ging es in den frühen Stadien entsprechender Bemühungen darum, Natur als die Urform des Immersiven zu imitieren und zu expandieren (synästhetische Ansätze bei Skrijabin 1915 oder frühe digitale Umsetzungen bei Char Davies 1995) und fand dies in den letzten Jahren seine - vorwiegend visuelle - Aktualisierung in umfassenden Virtual Reality-Systemen2 definiert Fennesz in AREA über dessen immanente Raum- und Personenbezogenheit die durch das Gehör wahrgenommenen Raum-Variablen künstlerisch neu: Wie groß ist ein Raum, wie ist er beschaffen? Wo befinde ich mich, wo war ich bereits?

Auditiv kuratierte Räume – der Raum als Instrument

NOUS Sonic wird von Fennesz damit weniger als ein weiteres computer- musikalisches Tool verstanden, sondern vielmehr als ein konzeptionell einsetzbares Gesamtsystem, um den Teilnehmenden die Gestaltung ihrer individuellen auditiven Raumwahrnehmungen zu ermöglichen. Der Künstler nutzt den Raum damit seinerseits als zusätzliches Instrument, die Areale und das sich darin befindende Hörbare wären etwa die Saiten dieses Intruments, die durch die individuelle Durchwanderung der Bereiche in den Kopfhörern zum Klingen gebracht werden: Akkordische Spielmöglichkeit durch Überblendungen der Areale inkludiert.

Dr. Gunther Reisinger, NOUS Wissensmanagement GmbH

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